Wie ist das, Schulleiter an einem bayerischen Gymnasium zu sein?
OStD Thomas Franz ist Lehrer für Biologie und Chemie am Gymnasium. Die letzten 18 Jahre war er Schulleiter, acht davon am Gymnasium Tutzing und zehn am Karlsgymnasium München-Pasing.
Für Mathegym-Nutzer dürfte interessant sein, dass er der allererste Käufer einer Mathegym-Lizenz (2008 für das Gymnasium Tutzing) war.
Wir wollten von Herrn Franz, der nach diesem Schuljahr in den Ruhestand geht, u.a. wissen, warum man sich auf ein so forderndes Amt überhaupt einlässt und welches die Hauptherausforderungen sind, die einen erwarten.
Mathegym: Herr Franz, Sie sind nun seit 18 Jahren Schulleiter. In welcher Phase Ihres Lehrerdaseins wurde die Absicht konkret, diese Position auszuüben und was war Ihre Motivation?
Franz: Das war nach knapp 20 Jahren, als ich nach vielen Jahren des Unterrichtens zunächst als Mitarbeiter in der Schulleitung, dann als stellvertretender Schulleiter mitwirken durfte. So kristallisierte sich der Wunsch heraus, Schule insgesamt noch mehr mitzugestalten – und das kann man natürlich als Schulleiter in besonderem Maße.
Mathegym: Das Arbeitspensum ist, soweit ich das über die Jahre bei verschiedenen Schulleiterinnen und -leitern beobachten konnte, immens. Aus dem Bauch heraus würde ich behaupten: die ohnehin schon hohe Lehrerarbeitszeit mal Faktor 1,5. Kommt das hin?
Franz: Ich habe es für mich mal aufgezählt, um einen Überblick zu bekommen. Ich glaube so unter der Woche von Montag bis Freitag vielleicht zehn Stunden, dazu kommen Abendtermine und natürlich mindestens ein Tag am Wochenende. Insgesamt, wie Sie schon sagen, hat jede Lehrkraft viel zu leisten – ein Schulleiter wird besser bezahlt und darf daher auch noch ein bisschen mehr arbeiten (lacht).
Mathegym: Welches sind die Herausforderungen und Konflikte, mit denen Sie in Ihrer Position vor allem zu tun haben?
Franz: Die große Herausforderung gerade in diesen Zeiten ist natürlich, das Personal für den Unterricht sicherzustellen und dann mit diesen zur Verfügung stehenden Stunden nicht nur den Pflichtunterricht, sondern auch Wahlunterricht bereitzustellen, der für das Schulleben sehr wichtig ist. Neben dieser personellen Herausforderung geht es um die Ausstattung der Klassenzimmer, v.a. in Hinblick auf IT. Das ist immer ein großes Ringen, die beste und möglichst gleiche Ausstattung in allen Unterrichtsräumen für die Lehrkräfte bereitstellen zu können. Damit wären zwei wichtige Aspekte genannt.
Mathegym: Aber hat man es denn nicht auch häufig mit Konflikten zu tun, etwa Streitigkeiten zwischen Lehrkraft und Eltern, wo man sich als Schulleiter dann positionieren muss?
Franz: Konflikte dieser Art sind naturgegeben, denn Eltern haben verständlicherweise Sorge um ihre Kinder, was z.B. das schulische Fortkommen anbetrifft. Natürlich sorgen sich auch die Lehrer um ihre Schüler, aber manchmal kommt man eben zu anderen Einschätzungen. Die Unterschiedlichkeit der Sichtweisen kann aber auch Ansporn sein, eine gemeinsame Lösung zu finden, die das Weiterkommen der Kinder und Jugendlichen langfristig sicherstellt.
Mathegym: Was konnten Sie am Karlsgymnasium gestalten oder mitgestalten – gibt es etwas, worauf Sie besonders stolz sind und was Ihre Amtszeit als Direktor überdauern wird?
Franz: Mir war es immer wichtig, Achtsamkeit und einen respektvollen Umgang miteinander zu fördern. Ich möchte, dass Jugendliche angstfrei in die Schule kommen, dass sie so, wie sie sind, anerkannt und respektiert sind. Ebenso habe ich immer dafür geworben, dass Vielfalt bereichernd ist. Das Schaffen einer angenehmen Atmosphäre war mir also ein wichtiges Gestaltungsanliegen. Ein weiteres zentrales Anliegen war, die Eigenverantwortung der Schülerinnen und Schüler zu stärken. Das betrifft die Verantwortung für das eigene Lernen im Unterricht, konkretisiert z.B. in Phasen des selbstgesteuerten Lernens – aber auch die Mitverantwortung für das schulische Leben insgesamt, sich mit einzubringen und damit auch ein Stück Identifikation mit der Schule zu schaffen.
Mathegym: Da ich selbst gerade für ein Jahr hier aushalf, indem ich den Unterricht für eine siebte Klasse übernahm, konnte ich mich tatsächlich davon überzeugen, dass die Atmosphäre eine sehr angenehme ist. Es sind aber auch viele Kleinigkeiten wie z.B. ein permanent ausgestellter Gong, kaum Lautsprecherdurchsagen und in der Regel unverschlossene Klassenzimmer, die stressreduzierend wirken.
Franz: Das hat sich in den Jahren entwickelt. Die Schule ohne Gong war bereits in meiner letzten Schule, dem Gymnasium Tutzing, Praxis und hat insgesamt zu einem ruhigeren Ablauf des Schultages geführt. An dieser Schule hat ein Defekt des Gongs die Entwicklung angeschoben. Mittlerweile sind wir hier der Überzeugung: er fehlt uns nicht.
Mathegym: Wie haben Sie die Corona-Schulschließungen erlebt? Hat sich durch die Pandemie etwas dauerhaft verändert?
Franz: Es war nicht schön, ein leeres Schulhaus zu erleben und zu wissen, dass die Kinder und Jugendlichen nun allein zu Hause an ihrem Schreibtisch sitzen, oft ohne sich untereinander austauschen zu können. Da war uns wichtig, frühzeitig ein System zu installieren mit einer Mischung aus Videounterricht und selbstgesteuertem Lernen, aber auch immer wieder die Möglichkeit für persönliche Gespräche mit Lehrkräften und Gespräche der Schüler untereinander anzubieten. Dauerhaft hat sich verändert, dass unsere Schüler digital affiner und versierter geworden sind. Das Lernen mit dem iPad und dem Notebook hat sich weiter ausgebreitet und viele arbeiten jetzt auch in der Schule damit.
Mathegym: Aktuell ist wohl der Mangel an Lehrkräften das größte Problem an Schulen. Es gibt Hinweise darauf, dass es nicht nur an der demographischen Entwicklung liegt, sondern auch an der zurückgegangenen Attraktivität des Berufs. Durch welche Maßnahmen könnte der Lehrerjob wieder attraktiver werden?
Franz: Ich glaube ein zentraler Punkt ist die Wertschätzung, ein achtsamer Umgang miteinander, in Beziehung zu Schülern, Eltern und Schulleitung. Es geht auch darum, Lehrerinnen und Lehrer nicht durch allzu viel zusätzliche Organisationsarbeit neben ihrem Kerngeschäft zu belasten. Ich bin aber hoffnungsvoll, dass die Talsohle durchschritten ist, denn die Zahl der Referendarinnen und Referendare nimmt wieder zu, ebenso die Zahl der Quereinsteiger. Insgesamt kann ich sagen, dass das Unterrichten, das Arbeiten mit Kindern und Jugendlichen in hohem Maße bereichernd ist. Das war für mich mein gesamtes Lehrer- und Schulleiterleben hindurch eine wichtige Motivation, die viele Arbeit, die anfällt, zu leisten.
Mathegym: Halten Sie unser dreigliedriges Schulsystem, insbesondere mit den derzeitigen Zahlen – z.B. in München über 50% der Schüler am Gymnasium, nur 20% an der Mittelschule – für zukunftsfähig oder bedarf es einer wesentlichen Veränderung?
Franz: Ich halte generell unser dreigliedriges Schulsystem für gut und geeignet. In den letzten zehn Jahren ist dieses durchlässiger geworden. Für dieses System spricht, dass wir in Bayern gute Ergebnisse erzielen – wie man im Abitur aber auch an den Jahreszeugnissen sieht. Wenn Schüler aus anderen Bundesländern zu uns wechseln, wird besonders auffällig, was an bayerischen Schulen geleistet wird. Gleichwohl halte ich es für notwendig, das eigenverantwortliche Lernen der Schülerinnen und Schüler noch mehr zu stärken, ebenso die Kompetenzen, die Schüler benötigen, um im Leben gut zurechtzukommen. Das erfordert Freiraum für Projekte, in denen etwa demokratisches Handeln aktiviert wird oder Verantwortung gegenüber Umwelt und Klima. Das Leben fängt nicht nach der Schule an. Alles, was es mit sich bringt, muss auch schon jetzt Raum in der Schule finden.
Mathegym: Nun endet Ihre berufliche Laufbahn und sie gehen in den Ruhestand. Vermutlich erleben Sie das mit gemischten Gefühlen. Worauf freuen Sie sich?
Franz: Zunächst mal zu den gemischten Gefühlen: die dominieren momentan, gerade weil es nur noch wenige Tage sind. Ich weiß schon jetzt, dass ich die Schule mit ihren Menschen, den Schülerinnen und Schülern sowie den Lehrkräften sehr vermissen werde. Sie sind mir ans Herz gewachsen und waren für mich über viele Jahre einfach der Ansporn für meine Arbeit. Freuen tue ich mich auf mehr Freiraum, Zeit zum Lesen – was bisher zurückstehen musste, aber Zeit natürlich auch für Familie, insbesondere meinen Enkel.
Mathegym: Herr Franz, vielen Dank für das Gespräch. Wir wünschen Ihnen alles Gute für die Zukunft.
(Das Interview führte Rainer Ammel, Gründer der Lernplattform Mathegym, der Herrn Franz bereits an seiner ersten Stammschule als Kollegen kennenlernte. Wie im Interview an einer Stelle erwähnt, sprang Herr Ammel in diesem Schuljahr angesichts der Lehrerknappheit als „Aushilfslehrer“ für eine siebte Klasse am Karlsgymnasium ein.)